sagt die Psychologin Maja Storch. Warum tun Menschen so viele Dinge, die sie eigentlich gar nicht wollen? Weil sie nicht genug auf ihre Gefühle hören. Der Grund, warum wir den Gefühlen so wenig zutrauen, geht auf die Aufklärung zurück. "Damals überwanden die Menschen ihren irrationalen Aberglauben und begannen, sich auf den Verstand zu verlassen. Heute wird der Verstand so übergewichtet, dass die Menschen erst wieder lernen müssen, mit ihren Gefühlen oder körperlichen Reaktionen (somatische Marker) umzugehen", sagt die Psychologin Maja Storch. "Neueste psychologische und neurowissenschaftliche Studien bestätigen, dass dem Unbewussten eine wichtige Rolle im Entscheidungsprozess zukommt." Sein oder Nichtsein All unser Handeln beruht auf Entscheidungen. Viele dieser alltäglichen Entscheidungen sind reine Routine und haben keine weitreichende Bedeutung, beispielsweise, was wir zum Frühstück essen, welche Zahnpasta wir benutzen oder welche Schuhe wir tragen. Andere Entscheidungen sind schwer wiegender, beispielsweise, wo wir wohnen oder arbeiten oder mit wem wir zusammenleben. Unabhängig von der Tragweite der Entscheidung, benutzt das Hirn zwei Beurteilungsmechanismen, um eine Entscheidung zu treffen: Verstand und somatische Marker. Durch den Verstand unterscheidet sich der Mensch vom Tier.
Der Verstand ist ein analytisches System, das zur Beurteilung einer Situation Logik einsetzt. Dieses System ist langsam, erfordert bewusste Kontrollen und folgt klaren Argumenten. Somatische Marker sind grundlegende Überlebensmechanismen, die in einem evolutionär älteren Gehirnsystem angesiedelt sind. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde bewerten wir mit ihnen eine gegebene Situation und suchen in unserem Erfahrungsschatz nach einer geeigneten Antwort oder einem geeigneten Verhalten. Auf Erfahrung beruhende positive und negative Körpersignale oder Gefühle sind mit somatischen oder körperlichen Zuständen verbunden.
Zum Beispiel: Mann sieht Tiger im Busch versteckt, Mann fühlt, wie ihm die Angst den Rücken hochkriecht und rennt um sein Leben. Oder Frau sieht schöne Schuhe im Schaufenster, ihre Wangen röten sich vor Aufregung, Frau kauft Schuhe. "Diese zwei Systeme funktionieren parallel und hängen voneinander ab", erklärt Maja Storch. "Der erste Schritt in Richtung kluger Entscheidungen ist, diese Dualität zu kennen. Der zweite Schritt besteht darin, die richtige Balance zwischen den beiden zu finden." Der Konflikt zwischen Verstand und Gefühl Wissen, wie man diese zwei Systeme gewichten soll, ist nicht einfach zu erwerben. Es gibt dafür grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Die erste ist Selbstregulation, eine automatische, vom Verstand nicht kontrollierte Antwort, das heisst man basiert seine Entscheidung auf seiner somatischen Reaktion. Wenn zum Beispiel Ihr Gefühl Ihnen sagt, einen Heiratsantrag nicht anzunehmen, beherzigen sie dies.
Die zweite Möglichkeit für eine Entscheidung ist Selbstkontrolle. Wenn Sie Selbstkontrolle ausüben, setzen Sie Ihren Verstand ein, um den ursprünglichen Instinkt zu übersteuern. Beispielsweise haben Sie wirklich Lust auf ein Stück Schokoladekuchen, aber Sie möchten für den Sommer eine gute Figur haben und wissen, dass Sie auf diese süsse Versuchung verzichten sollten. Oder Ihr Bauchgefühl warnt Sie vor dem Zahnarztbesuch, aber Sie wissen, es ist besser, jetzt zum Zahnarzt zu gehen, als später grössere Schmerzen zu haben.
Das Erlernen der Selbstkontrolle war für die Menschheit in ihrer Entwicklung genau so wichtig wie die Selbstregulation, aber zu viel Selbstkontrolle – auch Selbstdisziplin genannt – ist ungesund. "Als Faustregel gilt, dass man 80 Prozent seiner Entscheidungen auf Selbstregulation und nur 20 Prozent auf Selbstkontrolle stützen sollte. Leider machen es die meisten Menschen gerade umgekehrt, da unsere Gesellschaft kognitive Entscheidungen höher als emotionale bewertet", sagt Maja Storch. "Das langfristige Unterdrücken der Bewertungen der somatischen Marker führt erwiesenermassen zu klinischen psychologischen Störungen, wie beispielsweise Essstörungen. Bei der Zusammenarbeit mit Magersüchtigen habe ich gelernt, dass diese 99 Prozent ihrer Energie darauf verwenden, die Handlungsimpulse ihres Bauchgefühls zu unterdrücken." Sollte der Bauch immer bestimmen? Das Hören auf die Signale des Körpers ist wichtig für das emotionale Wohlbefinden, es ist aber noch lange kein Freipass, um auszurasten. "Aussagen wie 'folgen Sie stets Ihrem Instinkt' oder 'Ihr Bauch hat immer Recht' sind wissenschaftlich gesehen totaler Unsinn und können eine Person in die völlig falsche Richtung führen", sagt Maja Storch. "Meine primäre Botschaft ist, dass sich kluge Entscheidungen nicht nur auf den Verstand alleine stützen. Emotionale Reaktionen sollten ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Diese sollten analysiert und mit den Vorteilen gewichtet werden, die sie für Ihre gegenwärtige und langfristige Situation bringen können." Mehr über Maja Storch Die deutsche Psychologin Maja Storch ist derzeit Projektleiterin für Erwachsenenbildung und Persönlichkeitsentwicklung am Pädagogischen Institut der Universität Zürich. Sie ist Autorin von fünf Büchern, darunter ihr neuestes: Das Geheimnis kluger Entscheidungen. Maja Storch Homepage Quelle: Redaktion emagazine |